Story

Das neuste Abenteuer von Herr Vegara – inklusive Bildmaterial – umgesetzt von Claudia Wirth

DIE STORY VON HERR VEGARA

Herr Vegara hätte es sich nie träumen lassen, dass er mal noch auf grosse Weltreise geht. War doch sein Zuhause immer der enge Käfig in Señor Pumbas Tierhandlung. Freiheit und fliegen, das kannte Herr Vegara nur aus Geschichten, die ihm immer sehr unrealistisch und suspekt vorkamen. Bis dann eines Tages Señor Pumba vergass den Käfig zu schliessen und Herr Vegara es wagte, die Flügel zu spreizen. Seither ist einige Zeit vergangen und Herr Vegara hat viel erlebt und entdeckt.

Herr Vegara hockte nervös auf dem Fensterbrett und blinzelte in den Sonnenuntergang. Das Licht über Havanna war bereits dämmrig – für Herr Vegaras Augen aber immer noch zu grell. Die kannten ja nur die künstliche Beleuchtung aus den verstaubten Deckenlampen in Señor Pumbas Geschäft. Sollte er es wirklich wagen? Einfach auf und davon? In eine ungewisse Zukunft?

Hinter ihm schaukelte quietschend der leere, enge Käfig. Darin noch etwas von dem ranzigen Futter das Señro Pumba allabendlich lieblos in den Käfig warf. Gab es da draussen ein besseres Leben für Herr Vegara? Sicherer wäre es doch, einfach bei den alten Gewohnheiten zu bleiben. Lief ja bis jetzt nicht so schlecht…

Just bei diesen Gedanken knallte ein Auspuff so laut, dass Herr Vegara vor Schreck vom Sims aufsprang. Reflexartig öffnete er seine Flügel in der Luft und begann damit zu schlagen. Und er flog. Also doch, es stimmte, Herr Vegara kann fliegen.

Noch etwas verdutzt flog er über La Habana Vieja, dem Sonnenuntergang und seinem neuen Leben entgegen.

Als Herr Vegara seine Augen öffnete, brummte ihm der Schädel, sein Magen knurrte und er fühlte sich elend. Er hockte auf der Strasse zwischen bunten Häusern und lärmenden Autos. Wie war er hier gelandet? Er versuchte in seinem Brummschädel nach Erinnerungen zu kramen. Da war der wunderschöne Abendflug über Havanna, das Gleiten, zum ersten Mal den Wind in den Federn spüren.

Ob ihn eben diese Federn doch nicht so gut getragen hatten? Oder warum schmerzte Herr Vegaras Kopf so? Er schaute sich um und entdeckte neben sich die schön geschwungene Flasche und eine schneeweisse Feder. Langsam erinnerte er sich an die Bande kreischender weisser Vögel, die plötzlich wild um ihn herum schwirrten. Solche Gesellen hatte er noch nie zuvor gesehen. So laut und nervös. Herr Vegara dachte an die beschauliche Ruhe in seinem Käfig. Sie seien Möwen und im Hafen von Havanna zu Hause. Aha. Wer er sei und was er hier wolle. Die Stadt sei gefährlich für einen so bunten Vogel. Jetzt wünschte sich Herr Vegara endgültig die sicheren Stäbe seines Käfigs herbei. Noch könnte er umkehren, in seinen Käfig schleichen, das restliche Futter aufpicken und Señor Pumba würde nie von seinem Ausflug erfahren.

Einfach abhauen ging nicht, die Möwen waren weitaus die besseren Flieger als Herr Vegara. Am Ende würden sie ihn noch bis zu Señor Pumba verfolgen und mit ihrem lauten Geschrei die ganze Strasse aufschrecken. Das konnte er nicht riskieren. Also folgte Herr Vegara der Bande zu Havannas Hafen wo sie sich schliesslich auf das klapprige Geländer eines morschen Schiffstegs hockten.

Herr Vegara hockte sich dazu und versuchte seine Nervosität zu verbergen. Konnte er den Möwen trauen? Mittlerweile war es zu dunkel um den Weg zurück zu Señor Pumbas Tierhandlung zu finden. Er hatte keine Wahl: das waren nun seine Gefährten für die erste Nacht in Freiheit. Während Herr Vegara noch ängstlich überlegte, ob er sich in Sicherheit wiegen konnte oder nicht, bemerkte er plötzlich, dass es still geworden war. Ausser der Brandung und dem entfernten Verkehr auf der Hafenstrasse war nichts mehr zu hören. Waren die Möwen alle schon eingeschlafen? Herr Vegara schielte zaghaft nach links ohne den Kopf zu bewegen. Links von ihm starrten ein dutzend Augenpaare erwartungsvoll in seine Richtung. Er schielte auf die andere Seite und sah, dass auch die Möwen zu seiner Rechten ihn unentwegt anstarrten. Herr Vegara schluckte leer, schloss die Augen und versuchte nicht vor Angst zu zittern.

Fortsetzung folgt …